DIE RHEINPFALZ, LUDWIGSHAFEN  31. OKTOBER 2009
 

DAS IDEEN-BÜNDEL

Kalenderblatt: Die Mainzerin Dorothea van der Koelen war mit 19 die jüngste ernstzunehmende Galeristin in Deutschland – das ist jetzt 30 Jahre her.

Von Markus Clauer.

Heute schon mal in Ihren Kalender geschaut? Nein? Dann übernehmen wir das für Sie. Hier auf dieser Seite wollen wir zeitliche Grenzen überwinden. So tun, als wäre die Zeit ein wenig stehen geblieben. Zurückschauen, damit der Blick nach vorne gehen kann. Heute geht es um die Mainzerin Dorothea van der Koelen, seit 30 Jahren Galeristin.

Dorothea van der Koelen muss man sich als einen glücklichen Menschen vorstellen, eine 49 Jahre alte Frau mit Mädchenzopf und breitem Bubi-Grinsen. Geschafft, die Mainzerin gehört seit Jahren zu den wichtigsten deutschen Galeristen. Die Galerie van der Koelen, das sind Ausstellungshäuser in Mainz-Bretzenheim und -Laubenheim, die Zweigstelle in Venedig – La Galleria; die Kisten, die immer auf Achse sind zu den Kunstmessen von Bologna bis Sharjah. an 130 war sie schon beteiligt. Bei der "art" in Karlsruhe, die ihrer Fürsprache in der Szene viel verdankt, sitzt Dorothea van der Koelen in der Auswahlkommission. Locker – weltgewandt – kann sie von den unterschied- lichen Mentalitäten plaudern, in Leipzig, den Vereinigten Emiraten und Seoul, die sich zeigen, wenn es gilt, eine Ausstellung aufzubauen. In Leipzig wird demnach streng auf die Pausenzeiten geachtet, in Sharjah gleicht die Arbeit einem familiären Happening, zwischendurch wird geschlafen, nie weiß man, wer gerade vorbeikommt, um zu helfen. In Seoul herrscht strengste, anstrengende Effizienz. Die – in Maßen Landeshauptstadt-Lokalpatriotin kann das beurteilen. An rund 500 Ausstellungen war sie in den 30 Jahren, die sie jetzt als Galeristin in Mainz zu Hause und in der Welt unterwegs ist, beteiligt. Allein 30 Ausstellungen von Chillida, einem ihrer Herzensgötter, tragen ihre kuratorische Handschrift. Sie scheint sich vervielfachen zu können, gibt, gemeinsam mit ihrem Bruder, im Chorus-Verlag Bücher heraus, verlegt die Kunstzeitung "ZeitRaum", hält Vorträge, organisiert Kunst-am-Bau-Projekte. Sie verkörpert, was der Avantgarde Anliegen war: das Eins-Werden von Kunst und Leben. "Alles hat Priorität", ihr Originalton.

Dorothea van der Koelen wohnt in der Galerie und schläft (vielleicht) im Flugzeug. Groß abzuschalten scheint sie nicht. Urlaub? Kann man da Ausstellungen machen? Seit mit der van der Koelen-Stiftung für Kunst und Wissenschaft das nächste Prioritätsprojekt existiert, ist ihre Arbeitswut final entfesselt. Über die Stiftung organisiert sie bereits Vorträge an der Uni wie den mit Documenta-Leiter Jan Hoet. Das Grundstück für einen stiftungseigenen Museumsbau, für den sich ein Freundeskreis engagiert, ist auch schon gefunden, in der Nachbarschaft zum ZDF auf dem Lerchenberg. Das Modell-Foto ist gut sichtbar an das Regal der Bibliothek des van der Koelenschen Galeriehauses in Mainz-Bretzenheim gepinnt – als Anfeuerung, die gar nicht nötig ist. Dorothea van der Koelen brennt auch so schon von zwei Enden für die Kunst.

Von ihr geht ein Leuchten aus. wenn sie über ihre Künstler spricht, ausnahmslos, über jeden. Eine harte Geschäftsfrau kann sie auch sein, wie man hört. Muss sie sein. sonst hätte sie es kaum geschafft, immer weiter zu existieren – und so gut, selbst nach Kunstmarkt-Krisen wie 2002 und jetzt. 2002, gesteht sie ein, sei schon der Moment nah gewesen, in der das Weitermachen ganz kurz auf der Kippe gestanden habe. Jetzt sieht sie das gelassener. Ihre Sammler, darunter mit Reinhold Würth einer der intemational bedeutendsten, seien keine Spekulanten. Fast beschwörend das Plakat von Patrick Mimram, das an der Außenwand des Galeriehauses hängt und auf dem steht: "A good piece of art is the one you still love when it's worth nothing" – gute Kunst ist die, die man liebt, auch wenn sie fast nichts wert ist. Kostet 25.000 Euro. Solcherart Ambivalenzen sind ganz nach dem Geschmack von Dorothea van der Koelen. Immer schon ist die Tochter der selbstredend von ihrer vertretenen Künstlerin Lore Bert leicht entzündbar für Ideenkunst und Schönheit gewesen. Ihr Architektenvater erzählt sie, erklärte ihr die wirklich wichtigen Dinge auf Griechisch und Latein. Von Anfang an ging es anscheinend im Haus van der Koelen nur darum, ob etwas ästehtisch ist – oder moralisch. In ihrer Kindheit schien es ihr fast schoni "unanständig" nur für Geld zu arbeiten. Heute lässt sie sich freilich – vielleicht ihr einziger Luxus – von einem Assistenten im Jaguar zu Terminen bringen. Zu ihren ersten Geschäftsreisen – 1979, mit 19, damals die jüngste ernstzunehmende Galeristin überhaupt – ist sie noch per Anhalter gefahren. Kein Geld. Die 20.000 Mark Startkapital, die sich mit Nebenjobs zusammengespart hatte, waren nach zwei Monaten schon verbraucht.

Ein Jahr lang, so der Plan, wollte sie durchhalten. Nach 14 Tagen sei ihr klar gewesen, sagt sie jetzt, dass sie nie mehr etwas anderes machen wolle. Die Galerie in den Räumen, in denen heute ihr Büro untergebracht ist, hatte von 14 bis 19 Uhr und an den Wochenenden geöffnet, vormittags studierte sie an der Uni.

Ihre erste Ausstellung war dem Polen Andrzeij Pollo gewidmet, der nicht die ganz große Karriere machte. Heute vertritt sie die ganz Großen. Für ihre museumsreifen Schauen zum Galeriejubiläum in Venedig und Mainz, die jetzt eröffnet wurden, sind fast 20 Werke exklusiv entstanden. Darunter sind die ihres Promotionsthemas Heinz Gappmayr, von Kunststars wie Joseph Kosuth, Daniel Buren, ihrem venezianischen Hausheiligen Fabrizio Plessi oder ihrem guten Freund, dem Lichtkünstler François Morellet. Sein Werk leuchtet. Sie strahlt. "When Ideas Become Form", heißt der Titel ihrer Jubiläumspräsentation, eine Hommage an den legendären Ausstellungsmacher Harald Szeemann, wenn Ideen Gestalt werden. Das passt.