Während sich im Nahen Osten die Gewaltspirale weiterdreht, fand am arabischen Golf ein interkultureller Dialog statt, organisiert von Dorothea van der Koelen, Mainzer Galeristin.


MAINZER RHEIN-ZEITUNG  20. APRIL 2002
 

WASSER, SAND, WEITE

Mainzer Kuratorin lud zum interkulturellen Dialog ins Emirat Sharjah.

Mit einem Tross von 25 Personen war sie angereist, darunter Künstler, Museumsdirektoren, Journalisten: Dorothea van der Koelen, Mainzer Galeristin, lud zur Vernissage ins Emirat Sharjah. Eröffnet wurde eine hochkarätige Ausstellung mit Werken von 15 Künstlern aus 9 Ländern, von van der Koelen an den arabischen Golf gebracht. Eine internationale Schau, um einen interkulturellen Dialog zwischen Orient und Okzident zu eröffnen.

MAINZ / SHARJAH. Im orientalischen Museum duftet es nach Sandelholz und Weihrauch. Die warme Abendbrise trägt die orientalischen Gerüche der nahen Gewürzläden bis in das Museum hinein. Ein Defilée hat sich in Position gebracht und erwartet gespannt die Ankunft des Scheichs: Seine Hoheit, Scheich Dr. Sultan Bin Mohammed Al Qasimi. Gerade hat der Muezzin seinen Ruf beendet, da schiebt sich die Wagenkolonne in die abgesperrte Museumsstrasse, wo die weißgetünchten Wände im rotgoldenen Abendlicht widerstrahlen.

His Highness, der Herrscher von Sharjah, begrüßt jeden Einzelnen aus der unendlich scheinenden Gästeschlange persönlich. Er ist in den traditionellen weißen Dishdash gehüllt, auf dem Kopf trägt er die Guttrah.

Noch am Morgen hatte er während der Audienz in seinem Regierungspalast der westlichen Gruppe humorig geschildert, wie ihm beim Besuch der Uffizien auf Mariendarstellungen deren weißes Tuch so vertraut erschienen sei - und überhaupt: von wegen ›Your Jesus! Jesus is ours‹. Solche Sätze gehen dem in Kairo promovierten, hochgebildeten Mann, dessen Kinder allesamt Künstler sind, mit großer Freundlichkeit und Schalk über die Lippen.

Man ist zusammen gekommen zur Eröffnung der Ausstellung ›Wasser - Sand - Weite‹ organisiert von Dr. Dorothea van der Koelen. Es ist eine beachtliche Schau geworden und sicher das Beste an zeitgenösischer Kunst, das in dieser Region bisher gezeigt wurde. Künstler von Weltruf sind der Mainzer Galeristin, Kuartorin, Verlegerin ins Emirat des Scheichs gefolgt: Joseph Kosuth, François Morellet, Fabrizio Plessi, die Mainzerin Lore Bert, der Schweizer Rolf Schroeter, der Chinese Wu und Mario Reis. Sie alle sind persönlich angereist. Günther Uecker hat seine legendäre Sandspirale an den Golf geschickt, Eduardo Chillida Dokumentationen seiner Skulpturen, Heinz Gappmayr und Lawrence Weiner Textinstallationen, Raimund Girke seine Gemälde. Gottfried Honegger, Bernar Venet und Jan van Munster waren mit von der Partie. Video, Neon, Skulptur, Malerei, Fotografie, Installationen - eine umfassende Präsentation zeitgenössischer Kunst aus dem Bereich konkreter, konstruktiver und konzeptueller Kunst.


Kunst versammelt Kulturen: Dorothea van der Koelen und Sultan Bin Mohammed
Al-Qasimi eröffnen die Ausstellung.


Sharjah ist ein Paradies für die Kunst, und ein künstliches Paradies. Rund 30 Jahre ist es her, da gab es hier nicht viel mehr als heißen Wüstensand und ein paar Kamele. Man lebte vom Fischen, Handeln und vor allem vom Perlentauchen. Wer reich war, bewohnte ein strohgedecktes Wüstenhaus. Die weniger Reichen schliefen im Beduinenzelt. Heute reiht sich ebendort ein Hochhaus neben das andere. Das Emirat Sharjah beeindruckt mit einer gewaltigen Skyline moderner Architektur.

In Sharjah, dem Bruderemirat Dubais mit den etwas bescheideneren Ölquellen, gibt sich die Moderne intellektuell. Der Scheich ist ein Mann des schönen Geistes. Statt auf Mondän-Tourismus und Welthandel, setzt er auf Kultur und Bildung. Baut man in Dubai die elegantesten Hotels und Bürohäuser, so baut man in Sharjah die kultiviertesten Musentempel: zwölf Museen, drei Universitäten, die Bibliothek, neun Kulturzentren für Frauen.

Es gibt hier eine Kunstbiennale und eine Buchmesse. Für diese ungewöhnliche Kulturleidenschaft wurde das Emirat Sharjah 1998 von der Unesco zur Kulturhauptstadt Arabiens ernannt.

Die Kunst als Weltsprache: Van der Koelen wurde in Sharjah nicht müde, bei den verschiedenen Begleitveranstaltungen, Pressekonferenzen und Podiumsdiskussionen gemeinsam mit ihren Künstlern die Idee der Völker-verständigung auf der Basis von Kunst zu propagieren.

Es war der siebte Besuch der Galeristin in den Emiraten und die Idee zu dieser Ausstellung gärte schon seit langem. Eine hochkarätige Schau sollte es werden, eine Präsentation westlicher Kunst in Arabien und ein interkultureller Austausch mit arabischen Künstlern und Intellektuellen.

An Politik oder Kunstdiplomatie war damals nicht gedacht worden. Doch der 11. September mit seinen Folgen verlieh dem Projekt eine unerwartete Bedeutung. Diffuse Ängste vor der arabischen Andersartigkeit lebten nach den Anschlägen neu auf. Doch fundamentalistischer Islamismus findet in Sharjah keine Freunde. Terroristische Akte werden als Verstöße gegen den Islam scharf verurteilt. Amerikas Kampf gegen die Al-Qaida haben die Emirate unterstützt. Ansonsten betrachtet man sich, der Schweiz gerne ähnlich, als neutral.

Doch während die westlichen Besucher in Sachen Kunstbotschaft in Sharjah weilten, eskalierte die Gewaltspirale im Nahen Osten. Die Gastfreundschaft verbot Gespräche über konkrete politische Fragen, und die meisten der angereisten Künstler verstehen sich sowieso als unpolitisch. Doch die Nachrichten waren voll von Berichten über Verstöße gegen Menschenrechte und die Genfer Konvention in diesen Tagen, und der eine oder andere Gastgeber vertraute irgendwann doch dem Besucher aus dem Westen an, daß man sich enttäuscht fühle von Amerika. Und dass man dankbar auf differenzierte Töne aus Europa höre. Es müsse möglich sein, Freund Israels und der Juden zu sein und dennoch Unrecht beim Namen zu nennen.

Viele arabische Stimmen kommentierten diese Kunstbegegnung dankbar in diesen Tagen. Aber auch die Delegation aus dem Westen hatte zu lernen, Klischees zu revidieren und Vorurteile abzubauen. Ein arabisches Sprichwort sagt: ›Biete deinem Gast Speisen an, bevor du ihn nach seinem Namen fragst.‹

Die Rückkehr auf dem Flughafen Frankfurt war nicht nur klimatisch ein Einbruch. Am Gepäckband unsanft hin- und hergeschubst, von rüden Kommandotönen beschallt und dirigiert, fühlte man sich mit Wehmut an diese gelassene, arabische Ruhe erinnert, an Sharjah, dieses irgendwie surreale, moderne Märchen aus Tausendundeiner Nacht.

Bettina Gräfin von Pfeil     


Bettina von Pfeil war für den Sender 3sat mit Dorothea van der Koelen unterwegs. Der Sender zeigt am 9. Mai (19.25 Uhr) den Beitrag ›Wasser, Sand, Weite‹ zur Ausstellung.