MADAME  HERBST 2001  (Reprint in Dolce Nr. 1/2002)
 

IM VISIONÄREN LIEGT DIE KRAFT DER REALISATION

Ein Interview mit Dorothea van der Koelen, einer der erfolgreichsten Galeristinn en Europas.

Von Benigna Mallebrein.

Dorothea van der Koelens Wegbeschreibung zu ihrer neuen Galerie in Venedig hätte charakteristischer nicht sein können "im Vaporetto geht es bis zur Santa Maria del Giglio-Kirche, dann durch eine enge Gasse, hinter dem Fenice-Theater, in der Calle dei Calegheri, da liegt meine neue Galerie". Doch was ich einen Tag vor der Eröffnung vorfand war eine Baustelle: statt Kunst empfingen mich greller Lärm von Bohrmaschinen, ein Wald von großen Holzkisten, überall Handwerkszeug und ein Heer von Handwerkern emsig bei der Arbeit.

In all dem Chaos kommt Dorothea van der Koelen (41), eine faszinierende Persönlichkeit, auf mich zu. Ihr Kennzeichen: strahlende Augen, die brünetten Haare zu einem langen Zopf geflochten, groß und schlank, klassisches Outfit und eine umwerfend positive Ausstrahlung. Die Hand kann sie mir zur Begrüßung nicht reichen, in der einen hält sie Schrauben, in der anderen den Bohrschrauber: "Keine Sorge, das bin ich gewohnt. Seit Beginn meiner Tätigkeit als Galeristin lege ich immer selbst Hand an, auch meine Messestände richte ich selbst ein - inzwischen mit einem Team. 1987 für meinen ersten Messestand in Chicago habe ich sogar die Transportkisten selber gezimmert. Wichtig ist nur das Ergebnis, morgen ist alles perfekt", meint sie voller Zuversicht. Sie hat die Sache im Griff.

Unbeirrbar, konsequent, mit Klasse und Stil stieg die Mainzer Kunstgeschichtsstudentin mit zwei Galerien in ihrer Heimatstadt zu einer der Topp-Galeristinnen Europas auf. Jetzt soll in einem 300 Jahre alten Gebäude im besten Viertel von Venedig ihre neue Galerie erstrahlen, eine weite, lichte Kulisse für Werke zeitgenössischer Kunst. Auf die Frage, weshalb sie eine Dependance in Venedig eröffnet, kommt spontan die Antwort: "Ich wollte einen Traum verwirklichen. Venedig, diese einmalige Kunststadt verzaubert, hier bin ich immer glücklich." Mit sicherem Blick positioniert sie ein Textbild auf Glas von Joseph Kosuth, dem Initiator der Concept Art, neben ein weißes Papierfeld mit Blattgold-Kreis von Lore Bert. Ästhetische Poesie pur. In der luxuriösen Leere des nächsten Raumes ruht die Video-Installation Omaggio a Venezia von Fabrizio Plessi: der elektronische Fluss - er präsentiert das typisch venezianische Element Wasser - ist in einem goldenen Mosaik eingebettet, das den Bezug zur Vergangenheit der reichen Handelsstadt Venedig herstellt. An dieser Stelle soll der Bogen geschlagen werden von der traditionellen Vergangenheit zur technologisierten visionären Zukunft.

Für welche Künstler aus dem Bereich der Concept Art, Objektkunst, Video-Kunst, Konkreten Kunst und Environmental Art möchte sie die Rolle der Kuratorin übernehmen und Spezialistin sein? "Wenn mich deren Anliegen, der geistige Inhalt ihrer Arbeit gefangen nimmt, wenn ich mich mit den dem Kunstwerk inhärenten Visionen aber auch Hoffnungen zutiefst innerlich verbunden fühle. Ausschlaggebend ist, dass ich mit ihnen ein Ideal teile, einen ethischen Wert, dem auch ich nachstrebe. Das Schöne, Wahre und Gute bilden zusammen eine Einheit und bedingen sich gegenseitig." Und ihr Blick schweift zu den schwingenden weißen Nagelbildern von Günther Uecker. Muss Kunst denn schön sein? "Für mich ist die Schönheit nicht eine mögliche Begleiterscheinung von Kunst, sondern die Erfindung der Kunst schlechthin. Schönheit ist Ausdruck unserer ureigensten Sehnsüchte. Kunst ist Mittlerin zwischen Mensch und ewigem Urbild. Betrachten wir das Bild von Lore Bert, ein schlichter Kreis, aber er ist so harmonisch und vollkommen in seiner Form, dass wir uns hingezogen fühlen, er ist Ausdruck unserer Seele, es ist das, wonach der Mensch eigentlich sucht, worin er sich beheimatet fühlt."

Im Gespräch mit der vor Energie sprudelnden Galeristin wird deutlich, dass es ihr Elternhaus war, das sie geprägt hat. Ihr Vater war Architekt, ihre Mutter ist Künstlerin und so war Kunst schon immer Teil ihres Lebens. "Angeregte Diskussionen über das Schöne und Gute, über ästhetische aber auch ethische Fragen waren bei uns an der Tagesordnung."

Mit 19 Jahren - wenige Monate nach dem Abitur - errichtete sie mit ihrem selbst verdienten Startkapital die erste Galerie in Mainz-Bretzenheim, im Haus ihrer Eltern, und schon nach 14 Tagen stand für sie fest, ihr Leben fortan diesem Metier zu widmen. Lange war sie die jüngste Galeristin Deutschlands. Neben ihrer Galerie-Tätigkeit absolvierte sie ein Studium der Kunstgeschichte, Romanistik, Philosophie und Buchwesen. 1989 eröffnete sie ihre zweite Galerie als Kunsthalle in Mainz-Laubenheim, vier Jahre später promovierte sie.

Doch die Galeristin sieht sich neben allem Idealismus auch als "Unternehmerin in Sachen Kunst". Sie erweiterte ihren Tätigkeitsbereich und gründete zusammen mit ihrem Bruder Martin 1995 den CHORUS-Verlag für Kunst und Wissenschaft Mainz-München. Erschienen sind inzwischen über 80 Publikationen; darunter ein besonders dickes Buch, ein 500-seitiges Werkverzeichnis der Video-Skulpturen von Fabrizio Plessi. Ganz nebenbei ist sie als "toughe" Managerin insgesamt die Hälfte des Jahres auf Reisen. Ob in Chicago, Basel, Köln, Frankfurt am Main oder Madrid - Zentren und Drehscheiben des Kunsthandels - überall hat die solide Galeristin ihren Messestand, der durch die wohldurchdachten Installationen immer ein begehrter Anziehungspunkt ist. Dort knüpft sie ihre Kontakte zu Kunstsammlern aus aller Welt. An über 100 Messen hat sie schon teilgenommen. "Wir sind wie eine weltweite Familie. Es ist die Liebe zur Kunst, die uns verbindet." Jährlich organisiert sie mindestens 20 Ausstellungen in der ganzen Welt, so in arabischen Ländern, Korea, Europa, Amerika und Ostasien, "oft unter widrigen Umständen. Viele neue Spielregeln müssen gelernt werden. Abenteuerlich war eine Ausstellung von Lore Bert in Nepal, wo es keine Straßennamen gab. Wie soll man da den Weg zur Ausstellung beschreiben? Kunst ist auch ein Forum der Völkerverständigung. Selbst wenn sich nur ein Mensch über das von mir ausgestellte Kunstobjekt freut, so habe ich etwas gutes für sein Lebensgefühl getan." Ist das nicht ein sehr elitäres Denken? Mit diesem Begriff hat sie keine Berührungsängste. "Man muss auswählen. Elitär bin ich insofern, als ich das, was ich in der Kunst nicht sehen will, übersehe."

Dorothea van der Koelen stellt konsequent nur das aus, was sie selbst am liebsten besitzen würde. Ihr persönliches Feeling ist die Richtschnur, nicht strategische Gründe. So vertritt sie 15 internationale Spitzenkünstler wie Günther Uecker, François Morellet, Heinz Gappmayr und Eduardo Chillida. Warum nur lebende Künstler? "Die Werke lebender Künstler üben auf mich, vor allem durch den ständigen Dialog mit den Künstlern selbst, eine große Faszination aus. In den Gesprächen mit ihnen kann ich das Werk in seiner ganzen Tiefe verstehen, kann verstehen, welche Empfindungen und seismographische Wahrnehmungen der Künstler in sein Werk gelegt hat. Dadurch, dass ich in einer kreativen Familie aufgewachsen bin, ist es mir möglich, die Welt kreativer Menschen besser zu verstehen und auch zu erkennen, in welcher Form ich ihre Arbeit unterstützen kann." Sie möchte keine Galeristin sein, die nur Bilder verkaufen will. Sie versteht sich als Kuratorin von Kunst und Künstler. Ihr Anliegen ist es, die Kunst der Öffentlichkeit nahe zu bringen. Momentan organisiert sie eine Wanderausstellung durch acht Museen mit 160 Werken des spanischen Künstlers Eduardo Chillida. Auf dieses anspruchsvolle Projekt ist sie besonders stolz, und für Museen ist sie eine gefragte Projekt-Partnerin.

So ist sie beispielsweise von Hisham Al Madhloum, dem Kulturbeauftragten von Sharjah (Vereinigte Arabische Emirate) eingeladen, unter der Schirmherrschaft von S. H. Sheikh Sultan bin Mohammad Al Qasimi eine Ausstellung im New Sharjah Art Museum zu organisieren, die von deutschen Wirtschaftsunternehmen unterstützt wird. Ein Leben wie im Bilderbuch? "Beileibe nein, es war ein permanenter Drahtseilakt. Alles hat sich sukzessiv entwickelt, Schritt für Schritt, leise, aber stetig ansteigend, ein ständiger Weg nach vorne, kein Blick zurück." Für Dorothea van der Koelen war das Schwierigste die Schwelle von der Kunst zur Ökonomie zu überschreiten. "Am liebsten hätte ich all die schönen Kunstwerke verschenkt. Aber bald wurde mir klar, dass Kunstliebhaber dann, wenn sie bereit sind für das Werk zu zahlen, auch eine große Verantwortung dafür übernehmen. Dann stellt es für sie einen höheren Wert dar, sie verteidigen es, sie binden sich an ihren Erwerb."

Bleibt bei all den zahllosen Aktivitäten noch Zeit für das Privatleben? "Ein Privatleben im üblichen Sinne habe ich nicht, denn eigentlich haben alle daran teil, die mit mir umgehen. Die Künstler arbeiten in der Kunst-Halle; in der Galerie finden Symposien und Eröffnungen statt. Künstler, Kunstliebhaber und Kunstvermittler treffen sich und treten in Dialog. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit. Mein Beruf ist mein Leben. Mein Leben habe ich der Kunst gewidmet und das macht mich glücklich." Sichtlich zufrieden mit ihrem Leben gesteht sie: "Ich kann es mir erlauben, nur das zu tun, was mir Freude macht." Sie lebt zu Hause mir ihrer Mutter und das gibt ihr die emotionale Rückendeckung, denn ohne die Hilfe der Familie hätte sie das gewaltige Pensum nie geschafft. Obwohl Mutter und Tochter völlig unterschiedliche Charaktere sind, ergänzen sie sich hervorragend. "Wir sind uns sehr gewogen."

Was braucht man, um sich in diesem sicherlich harten Metier zu behaupten? "Wichtig ist der starke Wunsch, die eigenen Ideen zu realisieren. Dies gibt mir den Ansporn. Es ist eine visionäre Vorstellungskraft und sie ist die Voraussetzung für jede Form von Erfolg. Mein Projekt, im Anfangsstadium nur eine Idee, wird in der ständigen Auseinandersetzung damit und dem steten Wunsch es zu verwirklichen zur Vision und letztendlich zur Realität. Natürlich gehört auch Glück dazu. Dem Glück kann man zwar nicht hinterher laufen, aber man kann ihm mit offenen Armen entgegen gehen ..."


Dr. Benigna Mallebrein sprach mit Dr. Dorothea van der Koelen für Madame,
Sommer 2001 in Venedig