KUNST KÖLN  1/1994
 

GALERIENPORTRÄT

konkret - konzeptuell - konstruktiv
Die Galerie Dorothea van der Koelen, Mainz

Von Marianne Hoffmann.

Ihre Galerie liegt in einem Mainzer Vorort. Ein großer roter Klinkerbau, mit Raum für mehr als eine Familie. Ein Wohnhaus eben. Nirgendwo wird man ein Hinweisschild, einen Wegweiser zur Galerie finden, der Besucher muß sich "Hinter der Kapelle" durchfragen. Trotzdem, der Kunstliebhaber kennt mittlerweile die kleinen Straßen zur Galerie van der Koelen.

Mainz, die alte Römerstadt, die Stadt Gutenbergs, schläft einen ruhigen Kulturschlaf und ist doch in der nationalen und internationalen Kunstszene durch die Galerie bekannt geworden. Dorothea van der Koelen ist ein "alter Hase" im harten Geschäft der Kunstvermittlung. Auch wenn sie erst 33 Jahre alt ist, seit kurzem "Frau Doktor", ist die Galerie van der Koelen schon Institution, anerkannt - bekannt.

Dabei ist sie nicht nur Galeristin, sondern auch Kuratorin, Verlegerin und Wissenschaftlerin, die schon mit 24 ihren ersten Vortrag vor internationalem Fachpublikum hielt.

Die junge Frau mit dem langen schwarzen Zopf und dem strengen Äußeren ist humorvoll, manchmal sogar spitzbübisch. Dahinter verbirgt sich eine versierte Geschäftsfrau, wenn es darum geht, ihre Künstler einem breiten Publikum vorzustellen und mit der Kunst Umsätze zu erzielen. Das Wort Rezession existiert nicht für sie. Sie verzeichnet steigende Umsätze.

Dorothea van der Koelen ist schon seit Kindesbeinen mit der Kunst vertraut. Der Vater Architekt, die Mutter Künstlerin. Als Schülerin arbeitete sie in den Ferien in verschiedenen Frankfurter Galerien. Sie verschaffte sich Einblicke. Nach dem Abitur, mit 18, eröffnete sie ihre eigene Galerie im Elternhaus, dort ist sie auch heute noch. Dorothea van der Koelen hat sich in der Kunstszene umgetan. Über ihre "Jugendsünden" schweigt sie, auch darüber, daß sie es war, die Arbeiten von Picasso und Braque nach Mainz holte und in ihrer Galerie ausstellte. Sorgsam hat sie ihre ganz persönliche Linie entwickelt, den roten Faden gefunden. Nebenbei, man hat oft den Eindruck, sie macht soviel nebenbei, hat sie studiert und sich eben nicht mit dem Magister begnügt, nein, es mußte der Doktor sein. So etwas schafft Respekt - zu Recht. Kunstgeschichte und Philosophie, klassische Fächer und, bislang nur in Mainz möglich, das Studienfach Buchwesen. Darin gründet sich schon frühzeitig ihre Liebe zu allem Gedruckten, dem Wort, der Sprache und der Möglichkeit, dies in ansprechender Form zusammenzufügen und zu veröffentlichen. Schon zu ihrer zweiten Ausstellung erschien eine Publikation. Seit 1986 gibt es den Verlag Dorothea van der Koelen offiziell. Sie hat eine Buchreihe über ihre Künstler herausgegeben, "Dokumente unserer Zeit", Kataloge der besonderen Art. Diese Publikationen, obgleich klassisch zu nennen, leben durch die Qualität des Papiers, der Typographie, des Layouts. Das weiß man auch auf der internationalen Buchmesse in Frankfurt zu schätzen.

Die Texte, immer zweisprachig, wenn nicht gar dreisprachig, zielen auf einen internationalen Markt. Viele Texte sind aus ihrer Feder. Hier faßt sie zusammen, was sie ihren Kunden und Besuchern zu/über ihre Künstler erzählt. Mancher Kommentar eines Ausstellungsbesuchers fließt in diese Texte mit ein, und was einmal schriftlich festgelegt ist, gräbt sich ins Gedächtnis ein. In diesen Texten lebt sich die Wissenschaftlerin aus.

Heute kann sie auch schon stolz auf zwei dicke Bücher hinweisen, über Heinz Gappmayr und, ganz frisch, über den jüngsten ihrer Künstler, den Mainzer Förderpreisträger, Heiner Thiel. Jedes "Opus", so der Titel, ist Werkverzeichnis, Biografie, Bibliografie - Bücher von 160 Seiten und mehr. Sie werden finanziert aus dem, was sie mit der Galerie erwirtschaftet. Sie verdient gut, ist nicht reich, und alles, was sie erübrigen kann, steckt sie in ihre "Spinnereien".

Von Anbeginn ihrer Galerietätigkeit hat sie vom Erlös der Verkäufe leben müssen. Sie konnte es sich nicht leisten, Werke ihrer Künstler anzukaufen. Trotzdem vertrauen ihr die Künstler ihre "master-pieces" an, wenn sie sich wieder auf den Weg nach Madrid, Chicago, Basel, Köln oder Frankfurt begibt. Auf diesen international renommierten Messen ist sie gern gesehener Gast. "Ihre" Künstler, wie David Rabinowitch, François Morellet, Mario Reis, Heinz Gappmayr, Lore Bert, Jan van Munster, Wulf Kirschner (dessen "Hommage à Gutenberg" am Mainzer Rheinufer steht), Günther Uecker (auch er hat sich mit Mainz künstlerisch auseinandergesetzt), Raimund Girke, der Koreaner Sang Wha Chung, den sie in seiner Heimat entdeckte und in Köln mit einer "One-Person Show" präsentierte, und nicht zu vergessen - Heiner Thiel. Kein einfaches Programm. Nichts ist hier griffig oder sofort zugänglich. Der Betrachter, der sich auf diese Kunst einläßt, ist allein. Alles, was sich da an innerer Vorstellungskraft nach außen drängt, projeziert sich auf die Arbeiten. Ein nicht zu unterschätzender Erfahrungsprozeß für den Einzelnen.

Mario Reis mit seinen Naturaquarellen mag da noch am ehesten zugänglich zu sein. Raimund Girkes Arbeiten sind spröde, von verhaltener Präsenz. Sie gilt es zu entdecken, zu begreifen, die Nähe zur Natur zu suchen, die auch in ihnen verborgen ist. Eintauchen in ein Meer von Farben, die im Untergrund erahnbar sind. Gemeinsam ist allen Künstlern, daß ihre Arbeiten nicht unbedingt für den "Hausgebrauch" sind. David Rabinowitchs Arbeiten wiegen oft Tonnen, so daß sie kaum von einem normalen Wohnzimmerboden getragen werden oder sich in ein wohlgestaltetes Entree einfügen könnten. Jan van Munsters "Eistisch" oder Neonarbeiten, Heiner Thiels "Blickwinkelirritationen" fordern die Konzentration und das sich unbedingte Einlassenkönnen heraus. Heinz Gappmayrs verschlüsselte Wortbotschaften, Lore Berts zerknüllte Japanpapiere, zu Installationen zusammengefügt, Wulf Kirschners Schweißarbeiten - sie alle werfen Fragen auf. Das Publikum und zukünftige Kunden für diese Kunst muß man sich heranziehen. Das erfordert Zeit und volles Engagement und mehr noch als das Fingerspitzengefühl. Wenn man ihre Messestände kennt, weiß man, daß hier Kunst sparsam ausgestellt ist, sorgfältig gewählt und kombiniert - und immer ist auch etwas für den kleinen Geldbeutel dabei. Ein Ort, an dem man, bei der Überfülle an Angeboten des Kunstmarktes, die Seele baumeln lassen kann.

Dorothea van der Koelen zeigt Initiative, immer. Ähnlich einem Kunstverein hat sie einen Freundeskreis der Galerie gebildet. Darunter ist ein gleichnamiger Verein zu verstehen, dem jeder beitreten kann, sofern er bereit ist, monatlich 20,- bis 150,- DM per Dauerauftrag zu überweisen. Mit dem angesparten Geld erhält er die Möglichkeit, ein Kunstwerk zu erwerben oder aber am Jahresende eine der Vorzugsausgaben oder Multiples der Künstler zu besonders günstigen Konditionen zu kaufen. So kommen auch schon junge Leute in den Genuß, Kunst sammeln zu können.

Neben den etablierten Künstlern hat Dorothea van der Koelen dem Nachwuchs Platz eingeräumt. War es früher ein kleines Kabinett im Galeriehaus, ist es seit 1989 eine große Halle in Mainz-Laubenheim. Im dortigen Industriegebiet gelegen, auch hier findet man nicht den Weg so ohne weiteres hin, befindet sich das Atelier von Heiner Thiel. Hier entstehen ihre Bücher und hier hat sie den Raum, um jungen Künstlern die Freiheit zu geben, Träume zu realisieren, oder aber auch um Mario Reis' 77 Naturaquarelle (je 62 x 62 cm) zu zeigen, ein Zeitdokument aus der ehemaligen DDR.

Wann, so fragt man sich hat diese Frau noch Zeit für sich? Freizeit in diesem Sinne gibt es nicht. Ihr Hobby ist die Kunst. Dafür lebt sie, sie fordet auch den vollen Einsatz. Wenn sie einmal gar nichts tut, dann, sagt sie, sei ihre liebste Beschäftigung, sich hinzusetzen und zu denken. Man glaubt es ihr, es paßt zu ihr. So entstehen auch die Ideen und Konzeptionen für neue Ausstellungen an anderen Orten, in anderen Kulturinstituten dieser Welt, die sie dann auch von A bis Z betreut. Sie hat sich nie gescheut, selbst Hand anzulegen, zu hämmern, zu bohren oder Transporte zu fahren.

Dorothea van der Koelen schaut auf 15 Jahre Galerietätigkeit zurück. Die Ausstellung zu ihrem 10jährigen Bestehen, an drei Orten in Mainz gefeiert, was für viel böses Blut sorgte, hieß "Ausblick" und weist den Weg nach vorne. Ihre Bilanz bisher: 53 Messebeteiligungen und 80 Ausstellungen. Wenn sie auf der diesjährigen Art Frankfurt ihren Stand neben Karsten Greve, Köln, und Hans Mayer aus Düsseldorf hat, dann ist sie stolz darauf und weiß sehr wohl: das hat sie sich erarbeitet.

Der Mainzer Kulturdezernent, Dr. Anton Maria Keim, lobt sie als Botschafterin der Stadt Mainz - zu Recht.

Ohne Dorothea van der Koelen kämen weiterhin nur Rucksacktouristen in diese verträumte Stadt oder Familien, die sich auf den Spuren Gutenbergs bewegen wollen. Sie hat Mainz um eine Kulturinstitution mit Niveau erweitert. Man kann sich nur wünschen, daß sie bleibt. Hören wird man allemal noch viel von ihr, sie hat - so scheint es - gerade erst mal richtig losgelegt.